(Schein-) Heilige Familienzeit

Jetzt, wo die Weihnachtstage bevorstehen, kommen die meisten Familien mal wieder zusammen  - und gerade an den besinnlichen Tagen, zwischen all der Festlichkeit, kommt es oft mehr oder weniger zu Stress und Auseinandersetzungen. Gerade, wenn alles perfekt und harmonisch sein sollte, tritt genau das Gegenteil ein. 


Natürlich treten diese Probleme nicht nur an den Feiertagen auf, aber ich finde es gerade dann besonders ironisch, wenn Leute unehrlich lächeln, man die Spannung in der Luft fühlen kann, während alles festlich dekoriert ist, Weihnachtslieder abgespielt werden und ein Festmahl serviert wird.
Ich meine damit nicht, ausgeglichene und eigentlich glückliche Familien, die eben auch mal Ärger oder Streit haben. Wo viele Menschen aufeinander treffen (und die Tage davor bei den meisten wahrscheinlich auch noch hektisch waren), sind Konflikte vorprogrammiert, warum sollte es in Familien anders sein. 

Aber was ich meine, sind strukturelle Probleme, die oft in familiären Beziehungen auftreten, und genauso oft unter den Teppich gekehrt werden. Ich meine auch nicht ganz extreme Fälle wie (offensichtlich) häusliche Gewalt - Aber ich denke es gibt  oft ähnliche Mechanismen, oder in manchen Fällen gewissermaßen schon eine Vorstufe von gewalttätigem Verhalten. Ich meine Menschen, die ständig andere Familienmitglieder kommandieren, fordern, manipulieren oder unterdücken, auf leichte oder schwerwiegendere Art und Weise. Meistens betrifft das Beziehungen mit ungleichen Machtverhältnissen - und die Leute die sich so verhalten, nutzen dies aus, unterdrücken das Gegenüber emotional. 

Dieses Verhalten tritt auch außerhalb von Familien auf. Zum Beispiel in Freundeskreisen oder dem Arbeitsplatz, wenn es ab und an Leute gibt, die "das Sagen haben wollen", manipulieren, sich toxisch verhalten. Aber der Unterschied ist, dass sich Leute außerhalb von familiären Beziehungen viel eher dagegen wehren. In Familien werden solche Verhältnisse oft länger (oder für immer) "ausgehalten", um den Familienfrieden nicht zu gefährden. Aber was für ein Frieden soll das sein?!

Ehrlich gesagt, geht es dabei wirklich darum, einen fiktiven Frieden zu erhalten, oder ist es vielmehr die Angst, sich dagegen aufzulehnen? Die Angst vor den Konsequenzen mit denen derjenige droht? Die Angst, derjenige zu sein, der Schuld hat, einen großen Streit vom Zaun gebrochen zu haben? Oder die Gefühle und Gewissensbisse, die aufkommen? Vielleicht auch alles zusammen.
Wie man sieht, gibt es viele Gründe, warum Menschen emotional missbrauchendes Verhalten hinnehmen. Es erfordert sehr viel Mut, sich dagegen zu wehren, besonders, weil wir gelernt haben, dass Familien doch zusammenhalten müssen. Sich gegen seine Familie zu stellen ist undankbar und herzlos! Aber all diese gelernten "Gründe" sind nicht plausibel, und alles in allem stellen sie eine typische Täter-Opfer-Verkehrung dar!

Erstens, in jeder gesunden, aufrichtigen Beziehung, sollte man über Probleme reden können. 
Abhängig vom Persönlichkeitstyp kann dies zwar mehr oder weniger leicht fallen, aber es sollte möglich sein. Es mag mal lauter, persönlich, oder gemein (wer streitet schon perfekt), aber sich hinterher entschuldigt, und geeinigt werden.
Niemals ist es aber legitim jemanden zum Schweigen zu bringen, oder Widerspruch zu verbieten.
Niemand sollte sich schuldig fühlen, sich gegen Unrecht zu widersetzen, egal ob es von Familienmitgliedern oder anderen Personen ausgeht.
Würde man das gleiche tolerieren, wenn es von einem Kollegen oder Freund ausgehen würde?

Nur man selbst bestimmt seine eigenen Grenzen - empfindet man das Verhalten noch innerhalb dieser Grenzen, und kann damit leben und es akzeptieren, okay. Wenn nicht, dann ist es völlig in Ordnung auch einem Familienmitglied zu sagen, dass man das nicht mehr mit macht.
Es gibt keinerlei Grund, ein schlechtes Gewissen dabei zu haben, denn die Person, die einen schlecht behandelt, hat auch keins.
Solche Personen, oder andere Anwesende benutzen gern Argumente wie "Ich bin immernoch dein(e) Vater/Mutter/Ehemann..." oder "Denk dran, was ich schon alles für dich getan hab!"
Ja natürlich, und das sind zwei Paar Schuhe! Das unfaire Verhalten hat nichts zu tun mit anderen, fürsorglichen und guten Taten. Dass jemand etwas gutes für jemanden getan hat, rechtfertigt ja nicht,  ihm nun etwas schlechtes zu tun. 

Es ist nicht selten, dass die Person, die sich zu erst wehrt, beschuldigt wird, der Unruhestifter der Familie zu sein. Derjenige, der einen unnötigen Streit provoziert, und es "bis dahin so harmonisch war!" "Es ist doch über Jahre so gelaufen, warum musst du jetzt so ein großes Ding draus machen?!"
Wie bereits erwähnt, d a s ist völlige Umkehr von Täter und Opfer!
Der Streit wird provoziert, von der Person, von der das toxische Verhalten ausgeht! Wenn man sich über Jahre dieser Person anpasst und ihr gefällig ist, hat es schon lange nichts mehr mit einer harmonischen Beziehung zu tun. Diese existiert weder, wenn man immer versucht einzulenken (auch wenn es dann vielleicht so scheint) noch, wenn man eben damit aufhört.

Indem man sich an einem bestimmten Verhalten permanent stört, aber nie etwas dagegen unternimmt, mag man eine perfekte Welt für den Rest seines Lebens vortäuschen. Aber macht diese Welt einen glücklich? Nein! 
Die meisten Leute in solchen Situationen haben Angst, denn es ist ungewohnt, sich zu wehren, nein zu sagen, aufhören zu "gehorchen", sich nur still damit abzufinden. Wenn es sich vorher auch noch nie jemand getraut hat.
Aber was für eine "liebende Familie" soll es sein,  in der man überhaupt "Angst" haben muss, sich Dinge zu "trauen" ? Sollte man in einer liebenden Familie nicht respektvoll und ehrlich miteinander umgehen? Und ja, auch wenn es nicht immer leicht ist in Familienstreits sachlich zu bleiben, da immer mehr Emotionen mit reinspielen, man schneller überreagieren mag, Streits persönlicher und emotionaler sein mögen. Sich dabei eingeschüchtert oder ängstlich fühlen zu müssen sollte allerdings ein No Go sein. 

Bleibt man in der untergeordneten Rolle und zeugt das, nimmt das Gegenüber es ja auch so wahr, und lernt, dass es so weiter machen kann, und mit dem falschen Verhalten gut durchkommt. Es zeigt der Person, dass sie die Macht hat, und über die anderen, und deren emotionale Verfassung bestimmt.
Wie in der Erziehung, muss man klare Grenzen setzen, auch wenn diese zunächst getestet werden und auf Widerstand stoßen. Natürlich ist es nicht die Aufgabe, andere zu "erziehen" - aber es ist definitiv eine notwendige Aufgabe, und mehr als unser Recht, klare Grenzen innerhalb jeglicher Art on Beziehung festzulegen. Es ist wichtig, anderen zu zeigen, wie weit sie gehen dürfen, und einzugreifen, wenn sie die Grenzen nicht respektieren. Immer nachzugeben, ist wie eine Bestätigung, dass das Verhalten okay ist, und sie weiter machen können. 

Wann immer jemand (aus der Familie oder auch nicht) jemanden in eine sich unangenehm anfühlende Situation bringt, sollte man zuerst herausfinden, was einen davon abhält, dagegenzuhalten. Drohen sie mit Konsequenzen sind es oft leere Phrasen - stoßen sie auf Widerstand und Konsequenzen werden sie das Verhalten eher ändern, als wenn ihnen mit Gehörigkeit und Angst begegnet wird. Je eher man sich wehrt, desto eher die Chance auf Veränderung - auch wenn es unbelehrbare Personen geben mag, mit denen man nichts erreicht, als wieder und wieder neue Streits. Aber wenn diese einen absichtlich schlecht behandeln, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben, kann man sich ohnehin fragen, was die Beziehung überhaupt wert ist. Ein Ende mit Schrecken, ist bekanntlich besser als ein Schrecken ohne Ende, wie man so schön sagt. 


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