Wahlgedanken

Europa hat gewählt. Einen Tag danach, sitzen viele junge Wähler/innen wahrscheinlich
zufrieden vor dem Fernseher.  Die jungen Leute "schwänzen nicht nur die Schule", sondern
positionieren sich eindeutig gegen die Klimapolitik und Rechtspopulismus.

Photo by 🇨🇭 Claudio Schwarz | @purzlbaum on Unsplash

So weit so lobenswert. Doch bereits das Kommentarelesen in der Lokalpresse zeigt deutlich, dass das Wahlergebnis nicht bei allen Anklang findet. Konservative äußern zynisch "Da haben die Kiddies wohl nur "Gebt das Hanf frei" im Wahlprogramm gelesen". "Dann schwingen wir uns jetzt alle aufs Rad, und dürfen kein Auto mehr fahren." Auf der Gegenseite wird triumphiert, verglichen, und die "Wahlheimat Hamburg" für's Grünwählen gelobt, während sich für die ursprüngliche Heimat, in der die AfD stark war, "geschämt wird". 
Das Wahlergebnis ist für mich kein Zeichen dafür, dass es ab jetzt wieder in eine gute Richtung geht. Im Gegenteil - zwischen den Zeilen wird sehr deutlich, wie sehr sich die Gesellschaft immer mehr spaltet. Das hat nicht wenig mit sozialer Ungerechtigkeit, ungleichen Chancen, mangelnder Förderung der Bildung zu tun. Worte, mit denen im Wahlkampf eigentlich jede Partei um sich wirft. 
Und in der Realität? 
Anhänger/innen der Grünen und ähnlichen Parteien sind zu einem großen Teil nicht nur "die einfachen Leute". Oft sind es gutsituierte, gebildete Besserverdienende. Die mit einem gehobenen Zeigefinger, ihrem Markenrennrad, dem Wocheneinkauf aus dem Bioladen und Fairfashion daherkommen und zu Hause im Wohlstandsviertel mit ihren Kindern vegetarisch kochen. Die Grüne Bewegung mutet teilweise elitär an. 
Wie jemand in einem sehr reflektierten Instagram-Post vor kurzem in einem etwas anderen Zusammenhang schrieb:

 "Die Klimarettungsszene ist wenig inklusiv. Es wird viel gefordert, aus einer privilegierten Position heraus. Und während mit Edelstahlbrotboxen und ökologischen Barfußschuhen an den Füßen für die Rettung der Welt demonstriert wird, entsteht nebenbei ein Feindbild: Die Unwissenden, Ungebildeten, Ignoranten." 
(mama.ante.portas , instagram)

Leuten, denen es an nichts essentiellem fehlt, zufriedener sind, haben mehr Kraft und Zeit sich mit weiterführenden Problemen auseinander zu setzen. Menschen mit Zugang zu guter Bildung, können sich komplexere Gedanken machen. Menschen, die keine Existenzangst kennen, können ein ausgeglicheneres Leben führen. Sie müssen dieses Privileg allerdings auch sehen, und denen die es nicht haben, nicht mit Ignoranz begegnen.
Gutsituierte Grüne können der Umwelt zu Liebeauf bestimmte Dinge verzichten. Andere Familie müssen es ohnehin schon. Viele haben nicht die Wahl. Viele können bestimmte Dinge nicht einfach so umsetzen. Viele haben so viele alltägliche Sorgen, dass andere Dinge für sie Priorität haben. 
Nicht, dass Klimaschutz keine wichtige Sache ist. Trotzdem sind viele Belange in den Augen vieler Menschen die existenzielle Nöte haben, "Luxusprobleme". Das muss erstmal vorurteilsfrei verstanden werden. 
Ein Tenor der Angst geht bei vielen im Stich gelassenen Bürger/innen am "unteren" Rand der gespaltenen Gesellschaft um. Bedrohung, man wolle ihnen vielleicht etwas wegnehmen. Das Gefühl, diskreditiert zu werden. 
Die Politik geht auf diese Menschen, außer mit leeren Worten im Wahlkampf kaum ein. Man ist ohnehin schon benachteiligt, und nun auch noch die/der einfache Dumme. 

Nein, die Einstellung "Wir müssen denen einfach nur zeigen, dass unsere Ansicht auch gut für die sind ist keine Lösung. "Die" Menschen brauchen keine Erleuchtung von oben, sondern Politik, die zuhört, versteht, und was tut. Die sie an der Stelle, wo die Probleme bestehen, abholt. Sonst tut es nämlich die AfD. 
Dann kann man natürlich aus seiner überlegenen Position heraus wieder sagen: "Ich hab es ja gesagt, der Pöbel ist einfach dumm. Die AfD erreicht Zweistellige Ergebnisse - erschreckend! Wie kann das nur sein?" 
Aber wenn so viele Menschen sich bei solch einer Partei besser aufgehoben fühlen - sollte man sich vielleicht wirklich fragen, woran es liegt. Sich nicht nur rhetorisch fragen, wie kann das sein, sondern tatsächlich zuhören. Es ist längst nicht mehr nur eine kleine, rechte Randpartei die man ignorieren kann und hoffen, dass sich das von allein wieder legt. 
So weh das tut - sie sitzen nun mal in gewählten Gremien und haben dort die selbe Berechtigung wie die anderen Parteien auch. Scheinbar gibt es irgendetwas was viele Bürger bewegt, man kann nicht die Augen und Ohren verschließen und alle lediglich für dumme rechte erklären, und hoffen, dass das Probleme löst. So hat Problemlösung vielleicht zuletzt in der Vorschule funktioniert.
Mit solch einem Verhalten bestärkt man deren Meinung doch erstrecht - oder erinnert sich jemand daran, als frustrierter, rebellischer Teenager mit etwas was die Eltern einen einfach nur "verboten" haben, oder nicht ernst genommen haben, auf einmal aufgehört zu haben? Wahrscheinlich hat man die Sachen dann erstrecht gemacht, oder heimlich. Und heimlich hatte man dann noch viel mehr Raum für sich, den verbotenen Dingen ungestört nachzugehen. 
Die AfD und ihre Anhänger/innen nicht ernst zu nehmen, und die Augen und Ohren davor zu verschließen, fördert das rechte Wachstum meiner Meinung nach sogar noch mehr. Sich nicht verstanden, und dann auch noch nicht für voll genommen fühlen sorgt doch noch für viel mehr Frust bei entsprechenden Personen.

Wenn diese Partei von vielen Menschen aus irgendeinem Grund gewählt wurde, dann muss man sich dem auch stellen.
Wenn die eigene Politik bzw. Ansicht so viel besser ist, braucht man den Dialog ja nicht scheuen. Es dürfte dann ja nicht schwerfallen, im Gespräch zu überzeugen. Oder eben auch nicht - aber dann kann man nach dem Gespräch immer noch sagen, mit dir komm ich nicht auf einen Nenner und ich finde deine Ansicht scheiße. So funktioniert Demokratie nun mal. 
So wie es ignorant ist, dass die Etablierten die fridaysforfuture-Jugend nicht ernst genommen haben, ist es gleichermaßen ignorant, "besorgte Bürger" nicht ernstzunehmen und abzuwinken. "Das wird schon wieder. Die beruhigen sich schon wieder." 
Viele habe ich das Gefühl, distanzieren sich absichtlich, um nicht zugeben zu müssen, dass 1 von 100 Argumenten richtig sein könnte, oder in gewissen Hinsichten gemeinsame Absichten geteilt werden. In Schwarz-Weiß-Denkmustern könnte das ja nicht angehen. "Ich bin auf keinen Fall ein Nazi, ich kann ihr/ihm in der Sache nicht zustimmen!" Komischerweise hört oder stimmt man aber Vertreter/innen aus anderen Parteien auch zu, die vielleicht sogar das selbe sagen? 

Letzendlich sieht man an den Wahlergebnissen, dass es viele verschiedene Interessen, Sorgen, Ziele und Themen in der Bevölkerung gibt. Dass auch viele verschiedene Parteien gewählt werden, ist die logische Konsequenz, und wäre theoretisch ein perfekter Ausgangspunkt für einen offenen Austausch und neue Ideen. Was in der Politik allerdings in der Praxis passiert, hat man 2017 im Bundestag gesehen - drei Parteien kommen nicht mal während der Vorgespräche auf einen grünen Zweig. Statt eines offenen Austausches geht es nur darum, seine eigene Meinung durchzusetzen und sich gegenseitig zu beweisen, dass seine Ansicht die bessere ist - alle anderen sehen es nur noch nicht.
Vielleicht bräuchten alle Politiker/innen einen Basiskurs in Kommunikation und Konfliktmanagement. Vielleicht ist wirkliche Problemlösung auch einfach gar nicht gewollt oder ein zu unrealistisches Ziel. 
Die gesellschaftliche Spaltung, die durch die aktuelle politischen Strömungen vorangetrieben wird, macht mir jedenfalls Angst. In Amerika sieht man gut, wie schnell es gehen kann, durch trotzige, Rechts-konservative wieder Jahrzehnte zurück katapultiert zu werden.
Wenn man unsere aktuelle Politik weiter so betreibt wie bisher, sehe ich so etwas hier nicht auch mehr weit weg. Auch in dieser Wahl war bereits ein Rechtsruck zu spüren, und ich frage mich, wann es in den Köpfen ankommt, dass die Aufgabe der Politik es ist, die Abgehängten aufzufangen, abzuholen, und auf Augenhöhe Lösungen finden, damit der Teil des rechten Randes, der aus Frust entsteht, nicht weiter wächst.


















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