Austausch - Zuhören, um zu Verstehen.

Vor kurzem schrieb ich unter einem Instagram-Post, dass ich es toll finde, dass man dauernd neuen Input zu neuen Themen bekommt, ständig etwas neues lernt, reflektiert und ganz neue Wahrnehmungsweisen bekommt, wenn man den richtigen Kanälen folgt und für neue Sichtweisen offen ist. 


Dieser Austausch innerhalb der Insta-Community macht mir Spaß. Der Austausch von Ansichten, nicht um sich zu überzeugen, zu bekehren, sondern zu verstehen. Sich von entgegengesetzten Meinungen nicht angefriffen zu fühlen, sondern zu lernen. Zu akzeptieren.
Dabei passiert es schonmal, dass man sich zu bestimmten Themen, mit verschiedenen Leuten, über mehrere Tage austauscht, und sicher ist, nun wirklich alle Facetten dieses Themas erkannt und verinnerlicht zu haben.

Dann kommt man zu Hause durch Zufall auf so ein Thema und - zack - der Freund hat eine ganz andere Ansicht als all die neuen vereinten Erkenntnisse. Und schon fällt man selbst in jene Muster, die der ganzen vorher gelobten Community widersprechen.
"Der hat das Thema bestimmt noch gar nicht verstanden. Der kennt die Argumente alle gar nicht. Ich muss ihn davon überzeugen, dass meine Ansicht richtiger ist. Würdest du den und den Artikel dazu lsen, würdest du auch nicht mehr so denken."
Und dann kommt die überraschende Antwort: "Den und den Artikel habe ich auch gelesen. Die Argumente kenne ich schon. Trotzdem hab' ich aus den und den Gründen die und die Ansicht."
Wait...what?
Dass es einen überhaupt überrascht, dass jemand eigene, valide Ansichten hat - autsch!
Dass man so von der Vollkommenheit der eigenen Meinung ausgeht, zeigt, dass man selbst im Reallife manchmal nicht besser ist, als die Leute in einseitigen Social-Media Diskussionen. Dass man jemand anderen nicht zutraut eine selbstgeformte, andere Sicht auf Dinge zu haben. Und man dann doch in einer Instagram-Blase lebt, wo Themen eben auch nicht bis zum Ende beleuchtet werden.
Eigentlich ist es ja auch logisch, dass das gar nicht geht. Es gibt eben keine "eine Wahrheit". Jeder Mensch kommt mit anderen Erfahrungen und Werten und nichts davon muss zwangsläufig besser oder schlechter sein. Wenn jemand andere Ansichten hat, nimmt er/sie der anderen Person ihre Ansicht dadurch nicht weg.
Die Diskussionen mit meinem Freund enden, wenn wir akzeptiert haben, dass jeder seinen validen Standpunkt hat (andersrum kommt es selbstverständlich auch vor), meist in einem reflektierten Austausch, durch dem am Ende beide einen neuen Blikwinkel gewonnen haben und dennoch niemand seine ursprüngliche Meinung verwerfen muss.

"Zuhören, um zu verstehen"

Eine der Basic-Regeln in der Kommunikation, auch insbesondere des Konfliktmanagements ist das "Zuhören, um zu Verstehen - Nicht um zu antworten."
Würde man diese (auch selbst) öfter beherzigen, würden viele (vermeintliche)  Meinungsverschiedenheiten sicher schneller gelöst werden.
Zuhören um zu Verstehen. Das heißt auch, das Gesagte nicht in Kategorien einzuordnen. Wir neigen in vielen, gerade emotionalen Debatten, dazu Aussagen ein Schwarz-Weiß-Denkmuster zu kategorisieren. Als ob es nur A gibt, oder B, und wer noch A denkt, hat B einfach noch nicht verstanden. Vielleicht hat jemand aber auch schon A und B durchdacht, und kommt deshalb zu einem ganz anderen Schluss C? Oder zu einer Mischung aus beidem, zum Schluss AB? Oder aus seiner ganz eigenen persönlichen Erfahrung zum Schluss Q oder X? Und dabei ist keines davon besser oder schlechter, "weiter gedacht" oder "noch zurückhängend".

Ganz oft kommt das Argument: "Wenn du schon so anfängst, dann brauch ich gar nicht erst zu Ende zu hören/weiterlesen."
"Wenn jemand Argument X nennt, was Leute der Gruppe A auch immer sagen, gehört der/die auch zu Gruppe A, und Gruppe A ist dumm und kann nicht im Recht sein!"
Dabei kommt es gar nicht ausschließlich darauf an, was für ein Argument jemand nutzt, sondern noch wichtiger: in welchem Kontext! Wenn man bereits nach einem Satz abschaltet, weil man schon sicher ist was als nächstes kommt, bekommt man den natürlich nicht mehr mit.

Auch hier kann ich mit genug privaten Beispielen dienen, ich denen ich mich bestimmt mehrere Stunden umsonst mit meinem Freund gestritten habe, hätten wir einfach eher hingehört was der andere eigentlich ausdrücken will. Weil einer von beiden aber einen Satz gesagt hat, der den anderen direkt getriggert hat und man dadurch emotional und trotzig wurde, war ein sachliches Gespräch in dem Moment gar nicht mehr möglich. Am Ende, nachdem sich beide beruhigt haben, stellte sich dann oft heraus, dass man eigentlich fast auf das gleiche hinaus wollte - es nur anders ausdrückte, oder andere Ansätze dafür hatte.

Aus dieser Erfahrung heraus versuche ich erstens, unvoreingenommen in Auseinandersetzungen (im Reallife oder Online)zu gehen.
Zweitens, versuche ich in Konfrontation mit einer gegenteiligen Meinung, - oder noch schlimmer; einem furchtbar "typischen" auf die Palme bringenden Satz! - sich kurz zu beruhigen, und sich zu fragen: 'Warum sieht der/diejenige das denn überhaupt so? Wie ist das gemeint?'
Dann kann einerseits dabei herauskommen, dass die Person tatsächlich so ein - in meinen Augen - Idiot ist, die es genauso gemeint hat, wie ich es mir schon gedacht habe. Es kann aber auch genauso gut sein, dass die Aussage im Gesamtkontext eine ganz andere ist.

Gerade im Rahmen von politisch/gesellschaftlichen Debatten, im Rahmen von Aufklärungsarbeit zu bestimmten Themen, #empowerment-Accounts in sozialen Medien, in denen es darum geht, Vorurteile, Ungleichberechtigung usw. abzubauen, wünsche ich mir, auf  "Zuhören, um zu verstehen" zu setzen. Schaut man sich jedoch einmal eine politische Diskussion im Fernsehen an, denkt man oft, dass eine Gruppe Kindergartenkinder sich streitet, die sich nicht ausreden lässt und sich die Ohren zuhält, wenn die Gegenseite das Wort hat, anstatt eine gemeinsame Lösung zu suchen.
Aber auch auf Instagram gibt es dann Accounts, die keinen wirklichen Austausch ermöglichen, sondern nur die eigene kategorisierte - eigentlich ja löbliche - Meinung verbreiten.
Wo kritische Fragen oder Kommentare mit "Ach, nicht schon wieder eine/r die/der's noch nicht verstanden hat...come on..." abgebügelt werden.
Letztens zum Beispiel las ich eine Debatte über Bodypositivity in der jemand interessierte, weiterführende Fragen, über Fakten die sie noch nicht wusste stellte. Statt Informationen folgten schnippische Antworten wie "So schwer ist das nicht, das kann man überall nachlesen!" Mit einem Unterton, als würde in der Frage direkt Kritik vermutet, dabei machte die Person für mich einfach einen interessierten Eindruck. Auch wenn bereits 100 Menschen die gleiche Frage mit der Intention gestellt haben, die Aussage anzufechten, kann der 101. Mensch eine andere Absicht haben.
Und selbst wenn sie den Fakt zunächst in Frage gestellt hätte, hätte es im Sinne einer Aufklärung zu dem Thema doch trotzdem mehr geholfen, freundlich Quellen zur Verfügung zu stellen.
Dies ist zumindest meine Meinung im Rahmen von Accounts die für sich beanspruchen, bestimmte Weltbilder und Sichtweisen verändern zu wollen, genauso wie für Politiker/innen, deren Aufgabe es ist, gemeinsame Lösungen finden zu müssen.

In jedem Fall tut es nicht weh, nicht immer Recht zu haben, und anderen ihre Meinung zu lassen - man selbst darf seine schließlich auch behalten. Auch wenn man im Austausch natürlich manchmal ein wenig hofft, dass das Gegenüber einem in irgendeinem Punkt zustimmt. Genauso kann es aber auch ein gutes Gefühl geben, die Erfahrung andersrum zu haben, und sich zu denken; 'Hey stimmt - so habe ich es noch nie gesehen.'
Neue Perspektiven sollten nicht per se eine Bedrohung darstellen. Wenn man merkt, dass ein Thema, bestimmte Aussagen oder Ansichten triggern, oder beschäftigen, sollte man auch sich selbst zuhören, und verstehen:  Warum fühlt es sich eigentlich jedesmal wenn ich so etwas höre, so an?
Manchmal ist es vielleicht Angst, eine Verknüpfung an eine bestimmte Erfahrung oder einfach Unmut über Ungerechtigkeit o. ä. die mit einem Thema einhergeht. Das ist nichts schlechtes, und soll auch gar nicht "beseitigt" werden. Wenn man aber selbst versteht, warum man bestimmte Dinge fühlt, lässt man sich aus meiner Erfahrung, weniger von anderen Gefühlen oder Ansichten verunsichern oder aufbringen. Man kann losgelöster und selbstbewusster in Dialoge gehen, sich auf die Sichtweisen des Gegenübers einlassen auch wenn sie den eigenen widersprechen. Denn man kennt die eigenen genau und weiß, dass die gegenteilige Meinung des Anderen, diese nicht von Bord schmeißen kann.
Es sei denn, man entschließt sich selbst dazu, weil die neuen Erkenntnisse einen tatsächlich dazu überzeugen. Weil man nicht "aus Prinzip" an seinen eigenen Vorstellungen klammert, sondern sich auf sich selbst verlässt, weil man sich zuhört und versteht.










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